Ist Literatur im exterministischen 20. Jahrhundert, in dem Tod ein Meister aus Deutschland geworden ist, noch moglich? Ist ihre Daseinsberechtigung entfallen, da nach Auschwitz jede kulturelle Produktion nur Ausdruck der Barbarei sein kann? Ist Literatur gerade wegen der Graueltaten notwendig, gar unumganglich? Welcher Verfahren hat sich solche Literatur zu bedienen? Diese Fragen verfolgt der Georg-Buchner-Preistrager des Jahres 2016 in seinen poetischen Untersuchungen und hat eine ebenso knappe wie weitreichende Antwort parat: durch Detailarbeit am Material der Realitat wie der Literatur.
Marcel Beyer verfahrt bei seinen Erkundungen des Status von Literatur nach dem Ausschlussprinzip: das Radio funktioniert als notwendigerweise eindimensionales Medium; das Kino tritt stets im Gewand der Inszenierung auf und ist bekanntlich genauso manipulierbar wie die Fotografie. Im selben Maße, wie die uberlieferten Zeugnisse der Quellenkritik bedurfen, ist fur die Dokusoap eine Kritik der in der Regel anmaßenden Zeitzeugen notwendig.
Weit entfernt von jeder Regelpoetik oder den Creative-Writing-Ratschlagen ist die poetische Bilanz, die analytisch, essaysistisch wie erzahlerisch verfahrt, von Marcel Beyer ernuchternd: eine Literatur ohne Reflexion auf deren Entstehung und zeitgenossischen Tendenzen ist nicht zu haben. Und ist fur Marcel Beyer-Leser ermutigend: Dieser Autor beherrscht solche Forderungen der Vergangenheit und der Jetztzeit mit Nachdruck und dem notwendigen Spiel.