'Ich war nur das, was sie nicht hatte.' Literarische Verarbeitung transgenerationaler Traumataweitergabe am Beispiel von Hans-Ulrich Treichels 'Der Verlorene'
Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universitat Bremen, Veranstaltung: Seminar: Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, 5 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Seit den 1990er Jahren wird innerhalb der Geisteswissenschaften das Thema transgenerationaler Traumataweitergabe intensiver diskutiert. Den Hintergrund dieser Diskussionen bildet die Erkenntnis, dass Menschen mit schweren psychischen Traumata-Erfahrungen, insbesondere Überlebende des Holocaust, ihre Traumata ungewollt und unbewusst auf ihre Kinder ubertragen. Es stellt eine besondere Tragik dar, dass der lebensbejahende und dem schmerzhaften Trauma-Geschehen trotzende Akt der Kinderzeugung und -erziehung von unbewussten Prozessen uberlagert wird, die zu einem Weiterleben der Traumata-Inhalte in den Kindern fuhrt. Die nachste Generation ist so gezwungen, den innerpsychischen Kampf ihrer Eltern gegen die Trauma-Erfahrung in der eigenen Psyche fortzusetzen - ohne dass sie selber die Trauma-Erfahrung gemacht hatten, die fur sie daher auch nur eine mit vielen Phantasien ausgeschmuckte Realitat bekommt. Ulrich Treichel hat 1998 mit Der Verlorene einen novellistischen Roman vorgelegt, der aus der Sicht des namenlosen kindlichen Ich-Erzahlers eine Kindheit in den 1950er und 60er Jahren in einer Kleinstadt beim Teutoburger Wald darstellt, die von einer traumatischen Erfahrung seiner Eltern maßgeblich gepragt wird. Nur muhsam erschließt sich durch die Erzahlungen der Mutter, dass sie mit ihrem Mann und ihrem erstgeborenen Baby in den Wirren der letzten Monate des zweiten Weltkriegs vor der Roten Armee aus den deutschen Ostgebieten floh und dabei ihren erstgeborenen Sohn Arnold verlor als sie von russischen Soldaten aufgegriffen und vergewaltigt wurde. Schuldgefuhle uber den Verlust Arnolds vermischen sich bei ihr mit dem Trauma der Vergewaltigung. Wie der erst nach dem Krieg geborene Ich-Erzahler darunter leidet und wie das Trauma fur ihn selbst zu einer Realitat wird, vermag Treichel eindringlich, einfach und bisweilen seltsam humorvoll zu erzahlen. Diese im Jahr 2005 entstandene Hausarbeit von Bert Grashoff interpretiert Treichels Roman mit Hilfe theoretischer Konzepte, die von der psychologischen und psychoanalytischen Forschung erarbeitet wurden. Er arbeitet dabei die untergrundigen und unbewussten Prozesse heraus, mit denen das Trauma der Mutter die Generationenschranke uberschreitet und sich in der Psyche des kindlichen Erzahlers einnistet und die von Treichel nur detailliert beschreibend, niemals aber analytisch dargestellt werden.
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