Eine »Geschichte der unsichtbaren Welt in einzelnen Blattern«, nichts Geringeres schwebt dem Dichter und Theologen Christian Lehnert in diesem Buch vor. Ausgangspunkte seiner Gedanken sind Naturgeister und niedere Gottheiten, dualistische Vorstellungen von Engeln und Damonen, himmlische Hierarchiebildungen, Grenzuberschreitungen zwischen Diesseits und Jenseits mit geheimnisvoller geistiger Schmuggelware im Gepack. Gnosis, Kabbala und Visionen kommen ebenso vor wie moderne Psychotechniken. Von der sogenannten faktischen Seite der Wirklichkeit her aber treten Analogien des Geistersehens im philosophischen Denken und in den Naturwissenschaften ins Bild. Zugrunde liegt die Frage: Wie kann das Numinose heute, in einer postsakularen Welt, zu einer progressiven Kraft werden, welche die vorherrschenden, scheinbar festgefugten Weltbilder unterwandert und verflussigt? Den kleinen Rissen in den festen Straten religioser oder wissenschaftlicher, liberaler oder sakularer Weltanschauungen folgt Lehnert, sucht jene Risse, wo der Zweifel eindringt, wo die vergessenen Axiome derExaktheitund die Bruchigkeit ihrer Anschauungen aufleuchten.
Wie stellt man derartiges dar? Begriffliches Denken, poetisches Bild und Erzahlung, Autobiographisches und Spekulation schwingen in den einzelnen Texten ineinander, erhellen sich gegenseitig. Eine bewegliche Form des Schreibens stellt sich ein: ein suchendes Sprechen, das sich ins Unsagbare vortastet. So versammeln sich immer vom Ausgangs- und Bezugspunkt des eigenen Lebens aus und ohne Fiktion Bruchstucke eines Bekenntnisses als »Blatter« sehr unterschiedlicher Tonlagen. Sie behalten als Ganzes die Gestalt einer Frage.