"Menschen konnen gut ohne Gedichte sein, aber ein Gedicht nicht ohne Menschen." Wie kann es sein, dass eine Strickerin aus dem Lavanttal in Karnten zu einer der großten deutschsprachigen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts wird? Jenny Erpenbeck lasst uns an ihrer Faszination fur Christine Lavant (1915-1973) teilhaben, deren Gedichte sie zum ersten Mal liest, als sie Mitte der Neunziger in Graz lebt. An der Faszination fur eine Frau, die sich durch ihre Lesewut, Sensibilitat und Klugheit aus dem elenden Dasein, das ihr durch Krankheit und Armut vorgezeichnet war, herausgeschrieben hat. Christine Lavants tiefgrundiger Wahrnehmung des eigenen Leidens steht das zornige Fragen nach dem abwesenden Gott gegenuber, ihrem Stolz als Dichterin die Bescheidenheit der personlichen Existenz, der Einsamkeit einer Außenseiterin ein unbandiger Humor. Befreundet mit Thomas Bernhard und den Lampersbergers, im Briefwechsel mit Martin Buber und Hilde Domin, in ihrer Liebe zum Maler Werner Berg ist sie zeit ihres Lebens eng verbunden mit Kunstlern und Denkern, die in ihr, jenseits der Äußerlichkeiten ihrer zufalligen Existenz, die große Autorin und den warmherzigen Menschen erkennen und schatzen. Ein kraftvoller, ein poetischer Essay, der anschaulich macht, dass eine fremde Welt, die uns durchs Lesen aufgeschlossen wird, immer auch unsere eigene ist.