«Neiiiiin!»
Der kleine Flugel rief mit aller Kraft mitten in die Musik hinein. Alles verstummte. Auch die Orgel unterbrach uberrascht ihr Spiel. Und in die Stille hinein, mit einem rauschenden Arpeggio aus Quarten, improvisierte der Flugel mit Leidenschaft und Hingabe und vergaß alles um sich herum. Alle anderen Instrumente erstarrten in blankem Entsetzen. So etwas hatte noch niemand gewagt. Eine solche Provokation! Theodoras Zorn wurde furchtbar sein! Aber warum tat sie nichts? Die Orgel ließ, um Fassung ringend, den Flugel tatsachlich fur einen kurzen Moment gewahren, unfahig, auf den Ungehorsam sofort zu reagieren. Sie begriff erst nicht. Was geschah hier? Das konnte nicht sein! Niemals bisher hatte jemand gewagt, ihre Macht auf so unverschamte Art und Weise in Frage zu stellen. Doch dann fing sie sich, und ein machtiger, alles verschlingender Zorn baute sich in ihr auf. Der Orgelpunkt wurde zu einem gewaltigen Brausen; außer sich vor Wut richtete sie eine ihrer gigantischen Pfeifen auf den Flugel und blies einem Sturm gleich einen machtigen Strahl konzentrierter Luft auf den Aufsassigen. Im Bruchteil einer Sekunde erfasste der Luftstrahl den Flugel und hob ihn empor; er schwebte kurz inmitten der Halle hoch oben in der Luft und wurde dann durch eine der oberen Öffnungen hinaus aus dem Turm katapultiert und schließlich in die Tiefe gerissen.
Wahrend des Sturzes schien sich fur den Flugel die Zeit zu verlangsamen. Wie in Zeitlupe nahm er noch wahr, wie seine Holzverkleidung am Rande der steinernen Öffnung entlangschrammte. Er horte Theodora brullen: «Bringt mir einen neuen Flugel! So schnell es geht!», sah den Turm hinter sich, den dunklen Himmel und den felsigen Boden. Dann ging auf einmal alles sehr schnell. Der tapfere Flugel spurte den eisigen Wind der Ebene und sturzte dem Erdboden und seinem sicheren Ende entgegen.