Welche Faktoren lassen eine kulturelle Großerzahlung entstehen und wirkmachtig werden? Insbesondere die grandiose narrative Syntheseleistung, die Hegel mit seiner Geschichtsphilosophie gelingt, provoziert nach wie vor eine Antwort auf diese Frage. Und so ist es der große Epiker Hegel, der sich in das Gewand der philosophischen Systematik kleidet, den Albrecht Koschorke in den Mittelpunkt seiner Frankfurter Adorno-Vorlesungen stellt. In Hinsicht auf den nach 1806 finanziell ruinierten, territorial zersplitterten und auch politisch-kulturell fragmentierten Agrarstaat Preußen, um den sich das System des spateren Hegel zentriert, hat seine philosophische Erzahlung einen eher kontrafaktischen als beschreibenden Charakter. Überhaupt ist die Erzeugung schopferischer Gebilde, die sich dann als politische selbststandig machen, ein generelles Merkmal der Ära der Nationalmythologien wohingegen symbolische Integration durch Erzahlen unter heutigen postnationalen Vorzeichen nur in weit geringerem Ausmaß gelingt. Vor diesem Hintergrund geht es Koschorke nicht zuletzt um die Erzahlbedingungen der europaischen Gegenwart. Er zeigt, warum es ein umschließendes, nach innen stark integrierendes Europa-Narrativ, wie es die Politik zumal in Zeiten der Eurokrise fordert, nicht gibt und auch nicht geben sollte.