Essay aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Eberhard-Karls-Universitat Tubingen (Deutsches Seminar), Veranstaltung: PS II Die deutsche Kunstlernovelle von Wackenroder bis Kafka, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Nimm meinen bruderlichen Rat, und gib den Vorsatz ja auf, vom Schreiben zu leben [...] Freilich hattest du [...] Dich einer ernsthafteren burgerlichen Beschaftigung widmen sollen. Auch die glucklichste Autorschaft ist das armseligste Handwerk'1. Diese wohlgemeinten Zeilen schrieb Lessing 1768 und 1770 seinem Bruder in einem Brief. Selbst mit den Sorgen und Noten eines neuen Berufsstands bekannt, der als 'freier Schriftsteller' um die Existenz kampfte, wusste Lessing nur zu gut, wovo n er sprach. Das Zitat beleuchtet nicht nur ein Einzelschicksal, sondern es gibt Aufschluss uber Entwicklungen im spaten 18. Jahrhundert, die das Kunstlertum und die Kunst dieser Epoche generell betreffen. Es ist auffallend, dass in dieser Zeit viele Novellen geschrieben wurden, welche die Thematik 'Kunstlerproblematik' aufgreifen. Diese Tatsache hat verschiedene Grunde, deren Wurzeln in den sozialgeschichtlichen Ereignissen des 18. und fruhen 19. Jahrhunderts liegen. Das Aufkommen der burgerlichen Gesellschaft ist zu nennen, mit welcher die Entstehung des literarischen Marktes einhergeht. Hatten die Schriftsteller fruher noch einen Fursten oder sonstigen Mazenen, der fur ihre materielle Sicherheit garantieren konnte, so fiel diese wichtige Stutze mit dem Aufkommen des freien Schriftstellers weg. Hieraus ergab sich das erste Problem: Fur wen schrieben die Dichter von nun an? Welche Funktion hatte die Kunst, jetzt, wo sie nicht mehr dem Lob des Fursten oder der religiosen Erbauung einer Gemeinde diente? Eine andere Schwierigkeit entstand durch entgegengesetzte Wertvorstellungen des Kunstlers im Vergleich zum gemeinen Burger. Ersterer brachte nur ein geistiges Produkt hervor, dessen Legitimation inspiriertes Orginalgenie angesichts der Vorwurfe, er betreibe eine brotlose Kunst und lebe in einer Scheinwelt, schwer fiel. Hierbei konnte sich der Dichter nach den Sakularisationsprozessen auch nicht mehr auf ein gottgewolltes Schicksal berufen. Genauso wenig, wie die Gesellschaftsordnung von Gottes Gnaden war, konnte nach Ansicht der Burger Gott als Instanz fur die Rechtfertigung der Schriftstellerei angerufen werden. [...] 1 Helmuth Kiesel und Paul Munch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jh., S. 78 f.