Warum Gedichte? Erich Kastner gibt die Antwort: »Dass jemand ausspricht, was ihn bewegt und bedruckt, ist nutzlich.« In Larm im Spiegel aus dem Jahr 1929 zeigt sich Kastner als Lyriker von Rang. Pradikat: absolut gegenwartig und uneingeschrankt
gebrauchsfahig.
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plotzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Kusse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es ware schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. û
Nebenan ubte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und ruhrten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.