Welche Aufgabe hat die Literaturkritik? Welche Funktion ubt sie aus? Welche Rolle kommt ihr zu? An wen wendet sie sich? Was will sie erreichen?
Seit mindestens zweihundertfunfzig Jahren werden diese Fragen in Deutschland gestellt und immer wieder mehr oder weniger erregt debattiert. Denn sie treffen ins Zentrum des literarischen Lebens - gestern wie heute. Daher bußen sie, sooft sie auch erortert und beantwortet wurden, nichts von ihrer Aktualitat ein. Jene, die uber diese Fragen diskutieren und diesmal besonders leidenschaftlich und bisweilen sogar unerbittlich, die vielen Schriftsteller, Leser und naturlich auch Kritiker, mochten wir an eine Arbeit von Marcel Reich-Ranicki erinnern. Vor vielen Jahren entstanden, ist sie gerade jetzt von besonderem Interesse und bestens geeignet, der Orientierung in den aktuellen Auseinandersetzungen zu dienen.
Der vorliegende Essay wurde 1970 als Einfuhrung zu Reich-Ranickis Buch »Lauter Verrisse« geschrieben; der Band faßt Aufsatze uber Gunter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Gunter Grass, Peter Hartling, Gunter Kunert, Anna Seghers, Martin Walser, Peter Weiss und andere zusammen. Der ursprungliche Titel dieses Essays lautet: »Nicht nur in eigener Sache. Bemerkungen uber Literaturkritik in Deutschland«. Die ersten beiden Absatze, die Auswahl und Gegenstand des Bandes »Lauter Verrisse« betreffen, wurden hier weggelassen. Davon abgesehen, wird der Text von 1970 unverandert nachgedruckt.