Oskar Negt hat Gluck gehabt. Sein Leben konnte als Erfolgsgeschichte erzahlt werden: Als jungstes von sieben Kindern auf einem Kleinbauernhof ohne Bildungsguter im ostpreußischen Kapkeim aufgewachsen, wurde er zum Reprasentanten der Frankfurter Schule, zum anerkannten, in der ganzen Welt geehrten Philosophen und Soziologieprofessor. Doch Negts Kindheit und Jugend war von schmerzhaften Erfahrungen und Erlebnissen gepragt, von der Flucht mit zwei halbwuchsigen Schwestern in die »Totenstadt« Konigsberg und uber die Ostsee nach Danemark, wo er jahrelang in Internierungslagern lebte bis die Familie nahe Ostberlin wieder zusammengefuhrt wurde. Und dann erneut fluchtete, diesmal Richtung Westen. Erst 1955, zehn Jahre nach dem Aufbruch aus Ostpreußen, fuhlt er sich angekommen. Negt nimmt seine individuelle Geschichte zum Anlass, grundsatzliche Fragen zu stellen: uber das autobiographische Schreiben, uber gesellschaftliche Orientierung und personliche Identitat. Er will ergrunden, was notig ist, damit ungunstige Ausgangsbedingungen und traumatische Erfahrungen keinen lebenslangen Opferstatus fixieren. Seine autobiographische Spurensuche weist weit uber das eigene Schicksal hinaus.